18. November 2021

LMV November 2021: Sexarbeit ist Lohnarbeit!



Sexarbeiter*innen werden von der Gesellschaft oft stigmatisiert und diskriminiert. Wir wollen klarmachen: Sexarbeit ist Lohnarbeit! Die
Stigmatisierung dieser Berufsgruppe hat System und ihren Ursprung in der Ungleichbehandlung zu anderen Branchen. Während es ein
Prostituiertenschutzgesetz mit vielen Regelungen und Pflichten für die Sexarbeitenden gibt, gibt es so einen Gesetzeskatalog für keine andere
Berufsgruppe in diesem Umfang. Es braucht eine dringende Reformierung des Prostituiertenschutzgesetzes unter Einbeziehung von Sexarbeitenden und Betreibenden!

Im ProSchG in §5 und §6 ist geregelt, dass die Sexarbeitenden eine Anmeldebescheinigung mit sich zu tragen haben, auf der ihr richtiger Name
vermerkt ist. Fast alle Sexarbeitenden sehen in der Anmeldung keinen Schutz, sondern fürchten, dass die Daten an andere Behörden und Organisationen
weitergereicht werden und somit ein Outing als Prostituierte stattfindet. Die Sexarbeitenden stehen dadurch unter enormem Stress, sie müssen täglich darum
bangen, dass sie durch die Weitergabe dieser Daten ihre Jobaussichten verschlechtern, keine Wohnung finden oder keinen Kredit bei der Bank bekommen.
Diese Daten müssen sensibel behandelt werden! Faire Chancen für alle, egal welchen Beruf sie ausüben!

Die darauffolgenden Paragraphen regeln die Beratungsgespräche, die Sexarbeitenden führen MÜSSEN, um ihrer Tätigkeit nachgehen zu dürfen. Die
Erfahrungen der Sexarbeitenden zeigen, dass ein solcher Zwang kontraproduktiv ist und die Anmeldestellen die Sexarbeitenden oft nicht ernst nehmen oder an
ihrem Bedarf vorbei beraten. Natürlich sind Beratungen häufig hilfreich, das gilt für alle Berufsgruppen. Die Ausgestaltung solcher Beratungsgespräche sollte
in Absprache mit Sexarbeitenden oder deren Berufsverband geschehen, um die Bedürfnisse der Personen zu erfassen. Personen über 21 Jahre müssen jährlich zu
einer solchen Beratung, doch optionale Angebote? Fehlanzeige. Die generelle Gesundheitsversorgung von Sexarbeitenden ist schlecht. Vor allem in der Corona –
Pandemie war den Sexarbeitenden der Zugang zu Gesundheitsversorgung erschwert. Es gibt kein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen. Es braucht daher
dringend eine bundesweite Koordinationsstelle für die Beratungsstellen. Außerdem gibt es kein flächendeckendes Netz an Gesundheitsämtern, die spezialisiert
darauf sind, Sexarbeitende anonym und kostenlos zu beraten. Diese Angebote braucht es vor allem auch für Sexarbeitende ohne Krankenversicherung, denn diese
können sich sonst ihre gesundheitliche Versorgung nicht leisten!

Unter den Sexarbeitenden gibt es viele Menschen ohne Wohnung, ohne Krankenversicherung oder mit großen Sprachbarrieren. Einige Personen in dieser
Berufsgruppe sind auch ohne Aufenthaltstitel. In der Coronakrise wurde diesen Personen keine Unterstützung durch den Bund gewährleistet und sie waren unter
sehr erschwerten Bedingungen alleine gelassen. Während andere körpernahe Dienstleistungen (z.B. Friseur*innen) wieder ihre Geschäfte öffnen durften,
musste die Sexarbeit weiter ausgesetzt werden. Verdienstausfälle, mit denen die Sexarbeitenden alleine gelassen wurden.

Auch im Strafgesetzbuch sind einige Paragraphen, die sich auf Sexarbeit beziehen und damit die Sexarbeitenden, deren Kund*innen oder Familien kriminalisieren
oder diskriminieren. §184g beispielsweise zielt darauf ab, Orte, an den Sexarbeitende ihrer Arbeit nachgehen, weit weg vom Kern eines Ortes oder einer Stadt zu halten sind und sie
so zu Außenseiter*innen zu machen. Schon alleine die Tatsache, dass eine Wohnung, in der Sexarbeit nachgegangen wird, als sittliche Belästigung angesehen
wird, auch wenn es keinerlei Anzeichen gibt, ist eine unfaire typisierende Betrachtung. Typisierend heißt, dass man hier wegen einer fiktiven Konstruktion
der Gegebenheiten automatisch davon ausgeht, dass mit Prostitutionsstätten Belästigungen einhergehen. Dies ist bei sogenanntem „Stillen Gewerbe“ nicht der
Fall. Die typisierende Betrachtung von Prostitutionsstätten muss hinterfragt werden!

Wir finden, dass Diskriminierungen einer Berufsgruppe nichts im Strafgesetzbuch zu suchen haben! Sexarbeit muss endlich vollständig legal anerkannt werden! Wir
wollen gegen das Stigma angehen und endlich anerkennen, dass auch Sexarbeitende Arbeitende sind – genau wie andere Menschen auch! Viele Menschen verstehen
nicht, dass Sexarbeit ein einvernehmlicher Tausch von Geld und sexuellen bzw. erotischen Dienstleistungen darstellt. Eine legale Anerkennung bedeutet auch
eine Entkriminalisierung der Sexarbeitenden. Weg mit den entsprechenden Artikeln aus dem Strafgesetzbuch!

Neben den Menschen, die gerne der Sexarbeit nachgehen und das auch weiterhin wollen, gibt es auch immer Menschen, die aus der Branche aussteigen wollen. Die
Aus- und Umstiegsangebote müssen ebenfalls an die Wünsche und Bedürfnisse der Umsteiger*innen angepasst werden und die Umsteiger*innen brauchen dabei
geschulte Unterstützung. Sexarbeitende kriegen sehr viele Steine in ihren Weg gelegt, egal ob sie gerade in dem Beruf anfangen, der Tätigkeit schon lange
nachgehen oder aufhören möchten. Ein weiteres Beispiel dafür ist das Düsseldorfer Modell, nach dem einige Städte und Kommunen von den Sexarbeitenden
die Zahlung einer Vorabsteuer verlangen. Damit möchten die Kommunen sicherstellen, dass die Sexarbeit auch wirklich besteuert wird. Für dieses
Modell gibt es keine Rechtsgrundlage und auch die Einkommenssteuer wird dadurch nicht ersetzt. Auch durch dieses Modell wurden in Zeiten von Corona nochmal
deutlich, wie stark die Ungerechtigkeiten sind, die gegenüber Sexarbeitenden herrschen.

Schließlich muss weiterhin gegen Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung vorgegangen werden. Die entsprechenden Strafrechtsparagraphen gibt es
und diese müssen konsequent umgesetzt werden. Sexkaufverbotsmodelle, wie das „Nordische Modell“, haben sich Studien zufolge als ungeeignet erwiesen, die
Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern, und wir lehnen diese deshalb ab.

Wir fordern:

  • Eine Reformierung des Prostituiertenschutzgesetz: Weg mit den Beratungszwängen und hin zu einer bedarfsorientierten Versorgung auf allen
    Ebenen!
  • Beteiligung von Branchenbetroffenen an der Evaluation und Reform des ProstSchG
  • Ein flächendeckendes Netz an Beratungsstellen für Sexarbeitende
  • Entstigmatisierung des Berufsfelds
  • Weitere kostenlose Untersuchungsangebote in den Gesundheitsämtern und eine Sensibilisierung des Gesundheitspersonals
  • Finanzielle und beratende Unterstützung beim Berufswechsel
  • Abschaffung des Düsseldorfer Modells
  • Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung konsequent bekämpfen

 

Beschlossen am 07.11.2021 auf der Landesmitgliederversammlung in Frankfurt.



← zurück