LMV November 2021: Abschiebegefängnisse – Haft ohne Straftat!
Der Begriff »Haft« wird mit Kriminalität und Straftaten assoziiert. Aber Menschen in Abschiebungshaft sind weder verurteilte Straftäter*innen noch werden
sie einer Straftat verdächtigt – dennoch werden sie bis zu 18 Monate eingesperrt. Ihr einziges “Vergehen”: Sie sind Ausländer*innen, vollziehbar
ausreisepflichtig und Behörden und Gerichte fürchten, dass sie sich ihrer bevorstehenden Abschiebung entziehen könnten, wenn ihnen nicht selbst die
Freiheit entzogen wird. Aber Menschen, die in Deutschland Asyl beantragen, haben nichts verbrochen. Damit besteht keine Grundlage, Menschen in
Abschiebegefängnisse zu stecken, sie damit potentiell zu retraumatisieren und ihnen ihr Grundrecht auf Bewegungsfreiheit zu nehmen.
Menschen können nach §62 Aufenthaltsgesetz (Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – AufenthG)
unter gewissen Bedingungen als Sicherung oder Vorbereitung der Abschiebung in Abschiebungshaft genommen werden. Straffälligkeit ist keine Bedingung für die
Anordnung von Abschiebungshaft, denn diese diene laut hessischer Landesregierung alleine der Sicherung der Ausreise. Weil Abschiebungshaft keine Strafhaft ist
und von den Gefangenen keine Gefährdung für die Gesellschaft ausgehe, enthält die EU-Rückführungsrichtlinie u.a. ein striktes Trennungsgebot von Straf- und
Abschiebungshaft. Deswegen müssen separate Abschiebungshafteinrichtungen gebaut werden und Betroffene dürfen nicht mit Strafgefangenen unter einem Dach
untergebracht werden. Die EU-Richtlinie lässt unter bestimmten Bedingungen Abschiebungshaft zu, schreibt sie aber nicht vor. Das deutsche Aufenthaltsgesetz
dagegen schreibt die Haftanordnung in bestimmten Fällen vor.
In Hessen werden Betroffene in der Abschiebungshafteinrichtung Darmstadt-Eberstadt untergebracht. Die Kapazitäten dort wurden im Jahr 2021 von 20 auf 80
Plätze vervierfacht. Damit steht Hessen neben Bayern und Nordrhein-Westfalen an der Spitze im Bundesgebiet. Der Ausbau der Abschiebehafteinrichtung wird nach
Einschätzungen des Hessischen Flüchtlingsrates dazu führen, dass Ausländerbehörden immer häufiger Haft beantragen werden.
Die Haftbedingungen in Abschiebegefängnissen in Deutschland sind häufig schlecht, vor allem die medizinische und psychotherapeutische Versorgung. Die
Ungewissheit, wie lang die Haft dauert, ist für die Betroffenen extrem belastend. Entgegen dem von der hessischen Landesregierung formulierten
Grundsatz „Normales Leben minus Freiheit“ bleibt der Gefängnischarakter der Haft: In Darmstadt werden nach Aussagen des hessischen Flüchtlingsrates die
Inhaftierten nachts in Zellen eingeschlossen, der Hofgang beschränkt und auf einen kleinen Platz, der mit hohen Gittern und Doppelstacheldraht gesichert ist,
reduziert. Von der Kleiderordnung über persönlichen Besitz bis hin zu Ausgang und Besuchszeiten ist der Alltag der Inhaftierten im hessischen Gesetz über den
Vollzug ausländerrechtlicher Freiheitsentziehungsmaßnahmen (VaFG) geregelt.
In diesen Abschiebehafteinrichtungen haben die Inhaftierten theoretisch noch die Möglichkeit, juristisch gegen ihre Abschiebung und ihre Haft vorzugehen. Das
gelingt aber nur den wenigsten. Der Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung ist entscheidend, denn vielfach wird die Abschiebungshaft rechtswidrig angeordnet.
Dieser wird aber häufig nicht gewährleistet. Berichte von Anwält*innen, wie z.B. von Peter Fahlbusch, lassen zudem eine hohe Fehlerquote bei der Anordnung von
Abschiebungshaft vermuten.
Wir fordern:
- das Abschiebegefängnis in Darmstadt-Eberstadt so bald wie möglich zu schließen
- die Landesregierung soll sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten für eine Änderung des §62 Aufenthaltsgesetzes hin zu einer Abkehr von der Maßnahme
Abschiebungshaft einsetzen - Solange die Abschiebungshaft noch fortbesteht, muss den Betroffenen unverzüglich nach der Inhaftnahme ein kostenloser rechtlicher Beistand
ihrer Wahl gewährt werden
Beschlossen am 07.11.2021 auf der Landesmitgliederversammlung in Frankfurt.
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