LMV April 2024: Für eine feministische Kritik der Polizei!
In Deutschland ist jede dritte Frau von Gewalt betroffen. Fälle partnerschaftlicher Gewalt steigen aktuell weiter an. Nicht einmal jede zehnte Betroffene erstattet jedoch Anzeige. Denn von Frauen und (mehrfach-)marginalisierten Personengruppen wird die Polizei mitnichten als „Freund und Helfer“ wahrgenommen. Insbesondere rassifizierte und illegalisierte Frauen – genauso wie trans und nicht binäre Personen – laufen zu sehr Gefahr, zudem Opfer staatlicher Gewalt zu werden. Viel zu oft erfahren sie keinen Schutz und keine Gerechtigkeit sondern Retraumatisierung oder gar Kriminalisierung.
Gewalt gegen Frauen ist gesamtgesellschaftlich so weit normalisiert und „alltäglich“, dass die Schwere der Taten nicht wahrgenommen wird. Vor allem in diesem Bereich sind Polizeibeamt_innen zu wenig sensibilisiert und haben insbesondere zu wenig Wissen über die Dynamiken von häuslicher Gewalt. Statt der erhofften Hilfe werden gewaltbetroffene Frauen viel zu häufig nicht ernst genommen und mit misogyner Vorverurteilung und Demütigung konfrontiert. Im schlimmsten Fall werden Polizist_innen zu Kompliz_innen der Täter, Suchen die Schuld bei den Betroffenen oder betreiben Täter-Opfer-Umkehr. Sexismus und die Reproduktion von patriarchaler Gewalt in polizeilichen Strukturen wird politisch und gesellschaftlich kaum thematisiert oder als solche anerkannt.
Die Polizei ist die ausführende Gewalt eines patriarchalen Staates. Es ist ihre dezidierte Aufgabe, die herrschende Ordnung aufrechtzuerhalten und gegen Angriffe zu verteidigen. Die Polizei ist deshalb keine Lösung für patriarchale Gewalt, sondern Teil des Problems, das sich weder reformieren noch auflösen lässt. Denn Strukturen und Wertvorstellungen von Polizei (sog. „Cop Culture“1) sind erheblich von patriarchal-chauvinistischer Männlichkeit geprägt. Das zeigt sich in Autoritarismus, Herrschafts- und Gewaltaffinität, Freund-Feind-Denken und unbedingter Solidarität unter Polizisten in Form eines männerbündischen Corpsgeistes. Nicht jede Ausprägung der Cop Culture ist bei allen Polizist_innen im gleichen Maße vorhanden oder sichtbar, trotzdem ist sie hegemonial, identitätsstiftend und dient als kulturelles Leitbild.
Für uns als GRÜNE JUGEND HESSEN ist deshalb klar: Unser Ziel ist eine diskriminierungsfreie und gleichberechtigte Zukunft. Aktuell ist die Polizei vorrangig Freund, Helfer und Schutzmacht patriarchaler, kapitalistischer und rassistischer Strukturen. Herrschende Machtsysteme können jedoch nicht mit, sondern nur gegen den repressiven Polizeiapparat überwunden werden. Reformen wie eine Demokratisierung und zivilgesellschaftliche Kontrollen der Polizei oder eine Mittelumverteilung hin zu sozialpolitischen Maßnahmen sind wichtige realpolitische Schritte, um den Schutz für marginalisierte Personengruppen unmittelbar zu erhöhen. Dennoch können und wollen wir nicht bei der Forderung nach Reformen stehenbleiben. Wir wollen deshalb gemeinsam eine vertiefte Debatte aus intersektionaler und herrschaftskritischer Perspektive um emanzipatorische Alternativen führen.
1: „Cop Culture“ (Polizeikultur) beschreibt ein ursprünglich aus dem englischsprachigen Raum stammendes organisationssoziologisches Konzept, das die Kultur, Strukturen und Werte der Polizei definiert.
Quellen
„SCHUTZ VON FRAUEN VOR GEWALT: DIE POLIZEI, EINE INSTITUTION DES PATRIARCHALEN STAATES, ALS MITTEL GEGEN PATRIARCHALE GEWALT?“: https://www.cilip.de/2020/10/28/schutz-von-frauen-vor-gewalt-die-polizei-eine-institution-des-patriarchalen-staates-als-mittel-gegen-patriarchale-gewalt/
„#POLIZEIPROBLEM ABSCHAFFEN? – EINFÜHRENDE SKIZZEN ZUR KRITIK DER POLIZEI“: https://www.cilip.de/2021/04/11/polizeiproblem-abschaffen-einfuehrende-skizzen-zur-kritik-der-polizei/
„Kritik der Polizei. Rahel Jaeggi im Gespräch mit Christina Clemm, Tobias Singelnstein und Daniel Loick“: https://criticaltheoryinberlin.de/podcast/podcast-7-kritik-der-polizei/
„Maskulinität in der Polizei: Was Cop Culture mit Männlichkeit zu tun hat. Ein Essay (Rafael Behr)“: https://akademie-der-polizei.hamburg.de/resource/blob/490198/170aaf1bd797b1e28b4ed9372de4b1e9/maskulinitaet-polizei-do-data.pdf
„INTERVIEW: Viele kennen die Statistik, wonach in Deutschland alle drei Tage eine Frau durch ihren Partner getötet wird. Aber es wird hingenommen“: https://www.nzz.ch/feuilleton/femizide-interview-mit-der-anwaeltin-christina-clemm-ld.1823129
„Sexualisierte Gewalt anzeigen. Der doppelte Schmerz“: https://taz.de/Sexualisierte-Gewalt-anzeigen/!5813725/
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