LMV Mai 2016: Digitale Welt: innovativ, ökologisch, sicher
Die Digitalisierung unserer Welt ist im vollen Gange. Sie betrifft unsere Leben in allen Perspektiven und wird sie weitreichend verändern. Sie bietet zahlreiche Chancen, birgt aber auch Risiken. Gemeinsam können wir die Digitalisierung so gestalten, dass unsere Gesellschaft, unsere Umwelt und letztendlich jede*r Einzelne davon profitieren wird.
Upgrade für die Bildung
Digitales Lernen braucht gute Ausrüstung
Digitales Lernen ist wichtig und bietet viele Möglichkeiten, die allerdings nur mit der entsprechenden Hard- und Software vollständig genutzt werden können. Wir halten es daher für unabdingbar, veraltete und unsichere Betriebssysteme wie etwa Windows XP so schnell wie möglich flächendeckend auf allen Endgeräten der Schulen durch aktuelle Systeme zu ersetzen. Hierbei sollte auf freie und quelloffene Software gesetzt werden. Um einen multimedialen Unterricht, wie er vielerorts gefordert wird, gewährleisten zu können, ist darüber hinaus eine moderne Ausstattung der Unterrichtsräume mit Beamern, Visualizern und Boxen erstrebenswert. Zustände, wie sie zuletzt aus einigen öffentlichen Schulen bekannt wurden, in denen bis zu sieben Schüler*innen sich einen PC teilen müssen, gehören nicht ins Jahr 2016.
Um langfristig Papier und Kosten für Kopien einzusparen, ist es unabdingbar, Unterrichtsmaterialien sowie Handouts online zur Verfügung zu stellen. Damit einhergehend muss die nötige Infrastruktur in Form von freiem WLAN und E-Learning-Plattformen ausgebaut werden. Um WLAN und schuleigene Endgeräte vor Missbrauch zu schützen, ist es erforderlich, ein Benutzerkontensystem einzuführen. Wir verfolgen hier den Ansatz „ein Konto für alles“, das ein sicheres Passwort voraussetzt.
Digitales Lernen muss für alle zugänglich sein – auch für diejenigen, denen zuhause kein Internet und/oder kein Endgerät zur Verfügung steht. Wir fordern daher frei zugängliche Computer mit Internetzugang sowie ausleihbare mobile Endgeräte für alle Schüler*innen.
Sponsoring reglementieren
Nicht wenige Schulen werden als Prestige-Objekte von Firmen wie Apple, Samsung und HP gesponsert und mit deren Geräten ausgestattet. Dies führt dazu, dass diese Unternehmen sich mit Werbung an den Schulen präsentieren dürfen und die Schüler*innen lediglich die Nutzung der entsprechenden Produkte erlernen. Freie und quelloffene Software bleibt dabei auf der Strecke. Wir fordern deswegen eine klare Beschränkung dieses Sponsorings und ein Landesprogramm zur besseren IT Ausstattung an Schulen.
Smartphones nicht verteufeln, sondern sinnvoll einsetzen
Viele Schulen setzen bezüglich der Nutzung von Smartphones mittlerweile auf ein striktes Verbot. Zu einer Reduzierung der Benutzung durch Schüler*innen in der Schule führt dies jedoch nicht. Darüber hinaus bieten Smartphones besonders in den Fremdsprachen und Gesellschaftsfächern wie Politik und Wirtschaft viele Chancen. In Fremdsprachen schonen sie durch das Ersetzen der schweren Wörterbücher den Rücken der Schüler*innen, während sie in den Gesellschaftsfächern zur Gewinnung neuester Information für den Unterricht, zusätzlich zu den oft veralteten Lehrmaterialien, dienen können. Natürlich sehen wir aber auch die Probleme, die durch die Nutzung von Smartphones im Unterricht entstehen können. Wir setzen uns daher für eine landesweite Leitlinie zur Smartphone-Nutzung ein.
Medienkompetenz für alle
Gerade viele ältere Lehrer*innen sind mit der Benutzung der neueren technischen Geräte überfordert. Wir fordern daher sowohl für Schüler*innen als auch für Lehrer*innen einmal jährlich Medienkompetenztage. Diese sollten sich neben der Nutzung der Geräte und ihrer Office-Programme auch mit Datenschutz, Verschlüsselung und Urheberrechten beschäftigen, denn besonders letztere werden von Schüler*innen, aber auch von Lehrer*innen häufig verletzt.
Neben all den Chancen und Möglichkeiten birgt das Internet leider auch viele Gefahren. Um Schüler*innen und Lehrer*innen davor zu schützen, fordern wir Anlaufstellen für Cybermobbing und sonstige, Internet-spezifische Probleme sowie Aufklärung über gefährliche Phänomene wie Cybermobbing, rechte Naziforen oder auch Foren, die teils sehr gefährliche Lifestyles propagieren wie z.B. Essstörungen.
Wissenschaft und Studium
Für die Wissenschaften bietet die Digitalisierung und die damit einhergehende weltweite Vernetzung eine große Chance. Sie kann interdisziplinäre und internationale Forschungen erleichtern und verstärken.
Wir fordern deswegen grundsätzlich eine freie Veröffentlichung aller Forschungsergebnisse nach den Prinzipien des Open Access. So wird sichergestellt, dass Ergebnisse auch in Zeiten von Drittmittelfinanzierung wirklich für die Gesellschaft nutzbar bleiben.
E-Learning kann vor allem im Bereich des Selbststudiums neue Möglichkeiten und Impulse bieten. Damit E-Learning gelingt, ist allerdings eine entsprechende Ausstattung der Universitäten und vor allem ein schlüssiges Konzept nötig. Wir fordern einen weiteren Ausbau, der E-Learning Angebote, dies darf allerdings nicht dazu führen, dass klassische Lehrangebote wie etwa Vorlesungen, Seminare und Übungen auf der Strecke bleiben.
Gleichzeitig können und sollen Bibliotheken durch die digitale Verfügbarkeit wissenschaftlicher Publikationen überflüssig werden.
Arbeit und Wirtschaft
Insbesondere das produzierende Gewerbe steht vor einem gewaltigen Umbruch. Die Digitalisierung ermöglicht die Vernetzung aller Bestandteile einer Produktionskette hin zu einer sogenannten „smart factory“. Dadurch ergeben sich große Möglichkeiten zur Steigerung von Effizienz und Flexibilität. Es besteht dadurch aber auch die Gefahr, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Dem kann begegnet werden, indem ein breites Angebot an Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen geschaffen und gefördert wird. Heute schon ist zu beobachten, dass die Digitalisierung vieler Arbeitsplätze eine Arbeitsverdichtung und ständige Erreichbarkeit zur Folge hat. Hier muss darauf geachtet werden, dass die Belastung von Arbeitnehmer*innen nicht ständig erhöht wird und gegebenenfalls durch arbeitsrechtliche Schutzmaßnahmen begrenzt wird. Gleichwohl kann die Digitalisierung auch für eine Entlastung des Arbeitsalltags sorgen, wenn z.B. Aufgaben von zu Hause zu erledigt werden können. Solche flexiblen und für die Arbeitnehmer*innen günstige Arbeitsmodelle gilt es zu fördern.
Kreativität stärker fördern:
In unserem Land wird häufig die Innovationskraft des Mittelstandes als Erfolgsrezept der heimischen Wirtschaft gelobt. Dabei wird vergessen, dass wirklich neue, revolutionäre Ideen oftmals in den Köpfen weniger Kreativer entstehen. Junge Start-Ups haben es aber oft nicht leicht. Es bestehen zwar schon diverse Förderprogramme, doch nicht selten sind diese viel zu bürokratisch und helfen den jungen Unternehmer*innen kaum. Hier sehen wir einen großen Handlungsbedarf und fordern eine deutlich bessere Förderung von kreativen Unternehmungsneugründungen.
Mobilität
Die digitale Vernetzung unserer Mobilitätsangebote stellt eine große Chance zum Einstieg in ein intelligentes, ökologisches und ökonomisches Verkehrssystem dar. Die Verzahnung der verschiedenen öffentlichen Verkehrsmittel untereinander sowie die Kombination mit dem Individualverkehr stellt dabei einen der größten Fortschritte dar. Hier gibt es jedoch viel zu tun: Die verschiedenen Verkehrsdaten müssen für die Nutzer*innen einfach und plattformübergreifend zugänglich gemacht werden. Gleichzeitig müssen die Möglichkeiten für shared mobilty gefördert und einheitliche und nachvollziehbare Bezahlmodelle entwickelt werden.
Im öffentlichen Nahverkehr werden herkömmliche Papiertickets zunehmend durch E-Tickets ersetzt. Das ist gut für die Umwelt, birgt aber Risiken vor allem im Bereich Datenschutz. Beim Aufbau von elektronischen Fahrkartensystemen sollte darauf geachtet werden, dass erhobene Nutzer*innendaten anonymisiert werden und es insbesondere nicht möglich ist, Bewegungsprofile zu erstellen, die einzelnen Personen zugeordnet werden können.
Datenschutz & Sicherheit
In einer zunehmend digitalisierten Welt stellt sich die Frage, wie gut wir unsere privaten Daten schützen können und welche Maßnahmen von staatlicher Seite getroffen werden müssen, um dies zu gewährleisten. Erschreckenderweise besteht in weiten Teilen der Gesellschaft Desinteresse an diesem Thema, obwohl immer mehr bekannt wird, wie stark private Unternehmen und Nachrichtendienste unsere Daten speichern und auswerten.
Recht auf Anonymität und Vergessen werden
Von staatlicher Seite muss gesetzlich festgelegt werden, dass allen Menschen das Recht zusteht, sich anonym im Netz zu bewegen. Eine Klarnamenspflicht und ähnliche Maßnahmen lehnen wir ab. Zudem muss jede*r Einzelne*r die Möglichkeit haben, ohne großen Aufwand herauszufinden, welche Daten von ihr/ihm wo gespeichert sind und dementsprechend diese Daten auch löschen zu lassen.
Verschlüsselung bedeutet Privatsphäre
Starke Verschlüsselungen sind die einzige Möglichkeit, Daten effektiv vor fremden Zugriff zu schützen. Die Nutzung von Verschlüsselungstechnologien sollte daher in allen öffentlichen Einrichtungen und Behörden zum Standard werden. Dafür ist es nötig, die Verbreitung solcher Technologien flächendeckend zu fördern und zu forcieren. Auch Weiterbildungsmaßnahmen im Bereich ”Sicherheit und Verschlüsselung” für Politiker*innen und Angestellte des öffentlichen Dienstes sind dringend notwendig. Damit Verschlüsselung auch für Bürger*innen zum Standard wird, muss das Wissen über Verschlüsselung in der Bevölkerung verbreitet werden. Die Aufklärung über Verschlüsselungstechnologien darf dabei nicht gesellschaftlichen Initiativen wie Cryptoparties überlassen werden, sondern sollte endlich in die Lehrpläne aufgenommen werden. Jede*r muss das Recht haben, selbst zu bestimmen, welche Daten privat gehalten werden sollen und welche nicht. Wir lehnen es ab, dass von Regierungen Schwachstellen und Hintertüren in Software gefordert werden, um Verschlüsselungsmethoden zu umgehen.
Datensicherheit
Der sichere Umgang mit Daten muss gelernt werden, deswegen ist es wichtig, dass das entsprechende Grundwissen schon in der Schule vermittelt wird. Zudem muss es einen möglichst effektiven Schutz vor Kriminellen geben. Der Staat muss seine eigene Infrastruktur sicher vor Angriffen schützen; gleichzeitig ist es wichtig, Forschungseinrichtungen und Institute zum Thema Cybersecurity einzurichten und zu fördern, die neue Sicherheitsstandards für alle Anwender*innen entwickeln.
Vorratsdatenspeicherung
Wir lehnen die anlasslose Speicherung der Daten aller Bürger*innen ab. Sie stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Menschen dar und hat in anderen Staaten die an sie gestellten Erwartungen nicht erfüllt.
Politik
Die Politik ist nicht nur Rahmengeberin für eine digitalisierte Zukunft, sie ist auch selbst in der Lage, davon zu profitieren. Über das Internet ist eine neue Form der Bürger*innenbeteiligung möglich und Verwaltungsabläufe können einfacher, transparenter und effizienter werden. Um zukünftig innovative Konzepte zu ermöglichen, fordern wir, dass die hessische Landesregierung und auch die Kommunen eine Vorreiterinnenrolle im Bereich Open-Government einnehmen. Etliche Bundesländer sind in diesem Feld schon deutlich weiter und besonders in Hessen gibt es viel Nachholbedarf. Erst durch die Bereitstellung von Daten und die Teilnahme an OpenData Initiativen wie govdata.de werden Informationen für die Bevölkerung nutzbar und neue Ansätze möglich. Insbesondere Kommunen, die Verwaltungsaufgaben für viele Bürger*innen übernehmen, müssen dabei durch das Land besonders beraten und unterstützt werden, damit auch sie solche Projekte umsetzen können.
Gesundheit
Die Fortschritte der Digitalisierung stellen eine große Chance für die medizinische Versorgung dar. Insbesondere im ländlichen Raum, wo es heute schon das Problem des Ärzt*innenmangels gibt, der durch den demographischen Wandel wohl noch verstärkt werden wird, bietet die Telemedizin eine Möglichkeit, Lücken in der Versorgung zu schließen. Auch im Bereich der Vorsorge eröffnen sich durch die Nutzung der Daten von Fitnesstrackern etc. viele Möglichkeiten. Anreize wie etwa Vergünstigungen bei Krankenkassenbeiträgen für Patient*innen, die Daten ihrer Fitnesstracker zur Verfügung stellen, lehnen wir dabei ab. So würden Menschen genötigt, aus wirtschaftlichen Gründen ihre Daten zu verkaufen und Menschen, die Wert auf ihre Privatsphäre legen würden benachteiligt. Besonders wichtig ist ein konsequenter Datenschutz für sensible Gesundheitsdaten. Bei der Verwendung von Daten für medizinische Zwecke müssen höchste Maßstäbe an Datensicherheit herrschen. Die Patient*innen müssen vollste Kontrolle über ihre Daten haben und ohne ihre Einwilligung dürfen diese nicht weitergegeben oder weiterverarbeitet werden.
Energie
Die Digitalisierung legt die Grundlage für die Energieversorgung von morgen. Durch sie wird ein intelligentes Stromnetz möglich, in welchem z.B. energieintensive Geräte genau dann in Betrieb gehen, wenn viel Strom zur Verfügung steht. Diese „smart grids“ sind wesentlicher Bestandteil hin zu einer versorgungssicheren Energiewende. Hier gilt es allerdings genau darauf zu achten, welche Nutzer*innendaten den Netzbetreibern zur Verfügung gestellt werden und welche nicht. Grundsätzlich sind dezentrale Ansätze gegenüber zentralen Systemen zu bevorzugen.
Beschlossen, am 22.5.2016 auf der Landesmitgliederversammlung in Wiesbaden.
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