LMV November 2021: Gegen die Festung Europa – Menschenrechte achten an den Außengrenzen!
Mindestens acht Menschen sind mittlerweile an der polnisch-belarussischen Grenze gestorben, viele weitere verharren im Niemandsland zwischen Polen und Belarus, die polnischen Sicherheitsbehörden drängen Menschen mit illegalen Pushbacks zurück. Geflüchteten wird keine Möglichkeit gegeben, einen Asylantrag zu stellen, die Genfer Flüchtlingskonvention wird faktisch außer Kraft gesetzt. Polen hat für das Grenzgebiet den Ausnahmezustand ausgerufen, damit haben Hilfsorganisationen, Presse und Abgeordnete keinen Zugang. Somit ist die Überprüfung der Situation faktisch unmöglich.
Nachdem der belarussische Machthaber Lukaschenko im Mai als Vergeltung für die EU-Sanktionen angekündigt hatte, Geflüchtete nicht mehr an der Weiterreise in die EU zu hindern, versuchen immer mehr Menschen, durch Belarus und Polen in die EU zu gelangen. Seit Jahresbeginn registrierte die Bundespolizei etwas über 6000 Einreisen geflüchteter Menschen über die Belarus-Route, 4500 davon allein seit August. Die EU wirft Lukaschenko vor, Geflüchtete absichtlich über die Grenzen von Polen, Litauen und Lettland in die EU zu schleusen. Damit wählt Lukaschenko den gleichen Weg wie Anfang 2020 Erdoğan: Geflüchtete werden benutzt, um die EU auf Grund ihrer internen Streitigkeiten um eine gerechte Migrations- und Asylpolitik unter Druck zu setzen.
Polen reagierte darauf mit der Außerkraftsetzung der Menschenrechte an den europäischen Außengrenze. Menschen werden durch illegale Pushbacks gewaltsam zurückgedrängt und daran gehindert, einen Asylantrag zu stellen, was ihnen laut Genfer Flüchtlingskonvention zusteht. Das polnische Parlament hat nun einer Änderung des Ausländerrechts zugestimmt, die Pushbacks legalisiert. Das stellt einen eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte dar, indem das Grundrecht auf Asyl untergraben wird! Das internationale Flüchtlingsrecht und die Menschenrechte verbieten es, schutzsuchende Menschen an der Grenze ohne individuelle Prüfung ihres Asylantrags zurückzuweisen.
Polen plant weiterhin, die Zahl der Soldat*innen an der belarussischen Grenze deutlich zu erhöhen und auch Innenminister Seehofer bot an, den Anteil der Bundespolizei zu erhöhen und Polen etwa durch gemeinsame Streifen auf polnischem Gebiet zu unterstützen. Die Grenze soll aber nicht allein durch Soldat*innen bewacht werden, ein Stacheldrahtverhau entlang der Grenze zu Belarus ist bereits errichtet, der Bau einer dauerhaften Befestigung ist geplant. In einem gemeinsamen Brief an die EU-Kommission haben zwölf EU-Staaten eine „Anpassung des EU-Rechtsrahmens an neue Realitäten“ verlangt, unter anderem die Möglichkeit zur Errichtung physischer Grenzsperren wie Stacheldrahtzäune.
Wir, die GRÜNE JUGEND Hessen, stellen uns klar gegen die Errichtung physischer Grenzsperren und kritisieren das Vorgehen an der polnisch-belarussischen Grenze aufs Schärfste! Die europäischen Außengrenzen sind in den letzten Jahren immer mehr zu einem de facto rechtsfreien Raum geworden, wo Menschenrechte von Grenzbeamt*innen ignoriert werden und die zuständigen Behörden wegsehen. Das muss ein Ende haben!
Deshalb fordern wir in Bezug auf die aktuelle Lage an der polnisch-belarussischen Grenze:
- Die sofortige Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Polen. Wer Menschenrechte an den Außengrenzen ignoriert, darf keine EU-Mittel erhalten!
- Die sofortige Öffnung des polnisch-belarussischen Grenzgebiets für Hilfsorganisationen, Journalist*innen und Abgeordnete, damit das Vorgehen der Sicherheitsbehörden kontrolliert werden kann.
- Die Aufnahme der Geflüchteten. Schutzsuchende Menschen dürfen nicht zum Spielball der Politik werden! In Hessen und anderen Bundesländern gibt es eine Vielzahl von Städten, die sich als Sichere Häfen bekannt haben und bereit sind, Geflüchtete aufzunehmen. Wir haben Platz!
- Die EU darf sich nicht von autokratischen Regimen erpressen lassen! Es darf nicht sein, dass Autokraten wie Lukaschenko in die Lage versetzt werden, die EU-Migrations- und Asylpolitik als Druckmittel einzusetzen, indem sie ein paar Tausend Geflüchtete vor die europäischen Außengrenze bringen. Und das nur weil die EU sich nicht auf eine gerechte, die Menschenrechte wahrende, Migrations- und Asylpolitik einigen kann. So machen wir uns zu Kompliz*innen solcher Regime statt ihnen mit Menschenrechten entschieden entgegenzutreten.
- Die konsequente Untersuchung und Aufarbeitung der Vorkommnisse an der polnisch-belarussischen Grenze. Menschenrechte gelten überall, auch an den europäischen Außengrenzen!
Die GRÜNE JUGEND Hessen bekennt sich zu der Utopie einer Welt, in der Grenzen und Staaten nicht länger nötig sind. Eine Welt, in der alle Menschen nicht nur theoretisch, sondern auch ganz praktisch die gleichen Rechte und auch die gleichen Chancen haben, egal in welcher Region der Erde sie geboren wurden. Als Aktivist*innen und politische Akteur*innen kämpfen wir weiterhin dafür, diese Utopie Wirklichkeit werden zu lassen. Gleichzeitig erkennen wir an, dass die Erreichung dieses Ziels noch in weiter Ferne liegt und fordern daher umgehend:
- Das Recht auf Asyl darf niemals und nirgendwo eingeschränkt werden. Allen Menschen, die Schutz vor Verfolgung suchen, muss ein geordnetes Asylvefahren ermöglicht werden.
- Die europäischen Außengrenzen sind keine rechtsfreien Räume! Illegale Pushbacks durch Frontex oder nationale Sicherheitsbehörden müssen konsequent aufgearbeitet und verhindert werden. Frontex muss demilitarisiert werden!
- Schutzsuchende müssen menschenwürdig behandelt werden! Das gilt sowohl in Bezug auf die Behandlung durch Sicherheitsbehörden als auch auf die Unterbringung von Geflüchteten. Gewaltsame Behandlung durch Sicherheitsbehörden sowie die menschenunwürdige Unterbringung in überfüllten Lagern an den Außengrenzen verurteilen wir aufs Schärfste! Hier muss die EU tätig werden und solche Praktiken unterbinden.
- Eine Politik der Abschottung und der Abschreckung lehnen wir strikt ab. Wir wollen keine Festung Europa und werden uns auch zukünftig konsequent dagegen einsetzen!
- Länder, die wie Polen, Griechenland und Kroatien Gewalt an ihren Grenzen nicht konsequent verhindern oder sogar unterstützen, dürfen nicht von EU-Geldern profitieren! Die EU darf nicht weiter wegschauen. Sie muss sich mit sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln gegen illegale und menschenunwürdige Praktiken an ihren Außengrenzen einsetzen.
- Die Abschaffung des Dublin-Systems! Das derzeitige Dublin-System ist untauglich, da die Durchführung von Asylverfahren zum großen Teil den Ländern mit europäischen Außengrenzen überlassen wird. Dieses System gehört abgeschafft!
- Eine solidarische Verteilung von Geflüchteten auf die Länder der Europäischen Union. Die Aufnahme von Schutzsuchenden darf aber nicht daran scheitern, dass einige Mitgliedstaaten eine europäische Lösung blockieren. Bis ein gemeinsames System geschaffen ist, müssen aufnahmebereite Länder zusammen voran gehen!
- Sichere Fluchtwege schaffen! Täglich begeben sich Menschen in Lebensgefahr, um die Flucht nach Europa zu wagen. Situationen wie an der polnisch-belarussischen Grenze oder auf dem Mittelmeer sind ein Resultat der immer unsicherer werdenden Fluchtwege. Das ist kein Zufall, sondern im Sinne der Abschreckungspolitik so gewollt. Dass es sogenannte Pull-Faktoren aber nicht gibt, ist längst wissenschaftlich belegt! Es darf nicht sein, dass immer mehr Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu fliehen, ums Leben kommen.
- Mehr legale Migration ermöglichen! Nicht alle Menschen, die sich auf die lebensgefährlichen Fluchtwege in Richtung Europa begeben, haben hier ein Anrecht auf Asyl. Für diese Menschen brauchen wir mehr Möglichkeiten der legalen Migration.
Beschlossen am 07.11.2021 auf der Landesmitgliederversammlung in Frankfurt.
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