16. November 2021

LMV November 2021: Leitantrag „Für Freiräume! Für Kunst und Kultur!“



Kultur ist für eine offene und pluralistische Gesellschaft unverzichtbar. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche kann Kultur  Orientierung geben und neue Perspektiven eröffnen. Kultur kann hierbei zur geschichtlichen Aufarbeitung, Erinnerung und politischen Auseinandersetzung, von bis heute strukturell prägenden Menschheitsverbrechen wie der Shoa oder Unterdrückungsherrschaften wie
im Kolonialismus, beitragen.

Als GRÜNE JUGEND Hessen wollen wir kulturelle Vielfalt fördern und die Freiheit der Kunst verteidigen. Kunst darf nicht für ökonomische und politische Zwecke instrumentalisiert werden. Wir wollen einen gleichberechtigten Zugang aller Bürger*innen zu Kultur und es ist uns wichtig, dass die Kultur in der Breite und in ländlichen Räumen angemessen gefördert wird.

Wir setzen uns für faire Honorare und eine gute soziale Absicherung der Künstler*innen und Kreativen, für Gleichberechtigung von FINTA*-Personen im Kulturbetrieb und für die Öffnung des Kulturbetriebs für BIPoC und Menschen mit Migrationsgeschichte ein. Gerade in der Corona-Krise sind Hilfe und Unterstützung für Kulturschaffende nötig.

Förderungen im Kulturbereich sind im Moment häufig befristet, sodass die Kulturschaffenden sich ständig mit neuen Förderbedingungen und bürokratischen Hürden auseinandersetzen müssen. Diese Beantragungen nehmen immer mehr Zeit in Anspruch, die am Ende für die eigentliche Kultur fehlt. Wir brauchen deshalb endlich mehr dauerhafte Förderungen, die langfristige Planungssicherheit für die Kulturschaffenden ermöglichen, aber trotzdem mit der Zeit gehen. Darüber hinaus müssen Kulturinitiativen, die sich besonders für Nachhaltigkeit und den Schutz
unseres Klimas engagieren und diesen thematisieren über einen separaten Fördertopf langfristig gefördert werden.

Kein Platz für Sexismus, Rassismus,
Queerfeindlichkeit und andere diskriminierende
Strukturen in unserer Kultur

Die deutsche Kultur ist sehr weiß, sehr männlich, und nicht besonders divers. Ein Blick in die Verlagsvorschauen, in die Museen, oder in das deutsche Fernseh- und Kinoprogramm, lässt das klar deutlich werden. Je höher Gehalt, Ansehen und Funktion einer Stelle, desto geringer ist der Anteil von FINTA*-Personen, BIPoC, queeren Menschen oder Menschen mit Behinderung im Kunst- und Kulturbetrieb. Gesellschaftlich marginalisierten Menschen gleiche Arbeitsmöglichkeiten und Aufstiegschancen zu geben, ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Damit
wird auch für die Vielfalt der künstlerischen Perspektiven gesorgt.

Wir müssen dringend dafür kämpfen, dass sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern wie zum Beispiel in Regiepositionen angleicht, dass mehr Schwarze und People of Colour in die Ensembles kommen oder in Hauptrollen spielen.

Auch andere Missstände fallen endlich auf: Es gibt eine erstarkende Bewegung von behinderten oder chronisch kranken Künstler*innen, die für bessere Arbeitsbedingungen und Plätze in den Ensembles streiten, für Barrierefreiheit für sich und das Publikum. Diese Bewegung unterstützen wir, denn alle Menschen sollen die gleichen Chancen in ihrer Arbeit haben. Hinzukommt, dass wir auch gegen Queerfeindlichkeit weiter arbeiten müssen.

Wir fordern daher die Einführung und eine Auseinandersetzung mit Quotenverfahren, um so mindestens Parität zwischen den Geschlechtern, aber darüber hinaus auch Diversifizierung bei Leitungspositionen, Intendanzen, Stipendien und Werksaufträgen, in Jurys, Förderprogrammen sowie Projekten und Veranstaltungen von öffentlich finanzierten Institutionen zu erreichen. Ein
zentraler Punkt dabei ist die Bekämpfung des Gender-Pay-Gap, um Lohngleichheit gleicher Qualifikation und Tätigkeit zu standardisieren.

Außerdem braucht es eine unabhängige Beratungsstelle für Diskriminierung und Machtmissbrauch im Kulturbetrieb. Deswegen unterstützen wir die Vertrauensstelle Themis, die sich vor allem mit Fällen von sexueller Belästigung und Gewalt betroffenen Menschen in der Kulturszene einsetzt. Als GRÜNE JUGEND Hessen wollen wir uns ebenfalls für eine Diversitätsquote im
Kulturbereich einsetzen, wie das zum Beispiel in Großbritannien schon umgesetzt wird.

Erinnerungskultur: Aufarbeitung fortsetzen und
erweitern

Die Shoa als zentrale Bezugspunkt der Erinnerungskultur in Deutschland

Die Verbrechen des Nationalsozialismus bedeuten eine gesellschaftliche und politische Verantwortung, die niemals verjährt. Unter die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen darf kein Schlussstrich gezogen werden. Im Gegenteil: Da bald nur noch sehr wenige Zeitzeug*innen leben werden, gilt es jetzt neue Vermittlungsformate an den KZ-Gedenkstätten, in den Schulen und in der politischen Bildung zu entwickeln. Zudem muss die Erinnerungskultur so offen gestaltet werden, dass sie den Realitäten der Einwanderungsgesellschaft gerecht wird. Erinnerung mit ihren Erinnerungsorten ist eine gewachsene und sich stetig verändernde Praxis. Die Shoa bleibt der zentrale Bezugspunkt der Erinnerungskultur in Deutschland.

Gedenkstätten, NS-Dokumentationszentren und Aufklärungsarbeit sind maßgebliche Akteurinnen der außerschulischen historisch-politischen Bildungsarbeit. Sie bereiten mit ihren Aktivitäten einen fruchtbaren Boden für ein kritisches Geschichtsbewusstsein sowie für die Entwicklung von Haltungen zu gegenwartsrelevanten Themen, wie etwa zum Wert von Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit. Auf diese Weise leistet ihre Bildungsarbeit einen wichtigen Beitrag, um Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus sowie Antiziganismus und Rechtsextremismus entgegenzuwirken. Deswegen unterstützen wir als GRÜNE JUGEND Hessen die historisch-politische Bildungsarbeit und fordern eine bessere und umfangreiche finanzielle Unterstützung sowie eine fortwährende Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus.

Wir fordern eine bessere Förderung der KZ-Gedenkstätten und jener zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich im Bereich Erinnerungskultur engagieren.

Außerdem muss die Anerkennung bisher wenig beachteter Opfergruppen, etwa Sinti und Roma, Homosexuelle Menschen, Menschen mit Behinderungen oder sogenannte „Asoziale und Berufsverbrecher“, als Opfer des Nationalsozialismus, durch staatlich geförderte Gedenkstrukturen, verankert werden. Dazu gehört auch die stärkere Anerkennung der Opfer der nationalsozialistischen „Euthanasie“.

Umso wichtiger ist eine lebendige Erinnerungskultur, die an die Verbrechen an den Verfolgten erinnert und nicht in Ritualen und Formeln erstarrt, sondern die breite Bevölkerung und insbesondere die junge Generation emotional anspricht.

Anerkennung der Kolonialvergangenheit als Unrechtssystem

Darüber hinaus ist es wichtig, dass auch die deutsche Kolonialgeschichte endlich angemessen aufgearbeitet wird. Der deutsche Kolonialismus hat tiefe Spuren in den städtischen Räumen hinterlassen. Straßennamen und Denkmäler ehren Rassisten und Kolonialverbrecher, glorifizieren Kriege gegen Menschen, die sich gegen die gewaltsame Aneignung ihrer Lebensräume zur Wehr setzten. Ein kritisches Bewusstsein für die historischen Hintergründe dieser Erinnerungsorte gab es bislang in Deutschland kaum.

Die Mobilisierung der Black Lives Matter Bewegung führte zu einer neuen Aufmerksamkeit für die Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe im deutschsprachigen Raum. Teil der Aufarbeitung durch eine gesamtgesellschaftliche Erinnerungskultur, muss die Beantwortung der Fragen sein: „Welche Verantwortung tragen einstige Kolonialmächte für Asymmetrien in der heutigen Weltordnung? Inwieweit setzen sich koloniale Denkweisen bis heute in Rassismus, der bis heute unsere Gesellschaften strukturiert, fort?“ Auf kommunaler Ebene sind es
insbesondere BIPoC Strukturen und andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen, die sich mit dem kolonialem Erbe der eigenen Stadt beschäftigen und die fest in der Gesellschaft verankerte Kontinuitäten kolonialer Logik herausfordern.

Deswegen fordern wir die Anerkennung der Kolonialvergangenheit als Unrechtssystem, die Entwicklung von angemessenen Erinnerungsformaten, sowie die Bekämpfung rassistischer und (post)kolonialer Denkweisen und Praktiken, als gesellschaftliche Querschnittsaufgaben. Öffentliche und kulturelle Institutionen müssen sich ihrer historischen Verantwortung stellen und ihre
Kolonialvergangenheit sowie institutionellen Rassismus aufarbeiten. Für die Etablierung einer Erinnerungskultur kolonialen Unrechts ist es zentral, die Nachfahren kolonialisierter und heute von Rassismus betroffene Menschen, deren Lebensrealität noch immer von kolonialen Kontinuitäten geprägt ist, als Expert*innen aktiv und gleichberechtigt in die Planung und Durchführung von
Projekten zur kolonialen Erinnerung einzubinden. Die Einbindung dieser vielstimmigen Narrative geht mit einer Reflexion institutioneller Deutungshoheit und einer Öffnung von Kultur- und Bildungseinrichtungen für partizipative Prozesse im Kontext kolonialer Erinnerung einher.

Kultur im Land

Kulturpolitik ist vor allem Stadtpolitik. Der Großteil der öffentlichen Mittel, die für kulturelle Angebote bereitgestellt werden, fließt in die kulturelle Infratsurktur der großen Städte und Metropolen, die aus den kommunalen Mitteln auch die meisten Kultureinrichtungen finanzieren. Theater, Orchester, Museen, Bibliotheken, Festivals und vieles mehr – fast alles, was gut und teuer ist – findet sich in den Städten, wo auch die meisten Künstler*innen leben. Der kulturelle Diskurs in unserer Gesellschaft ist dementsprechend vom urbanen Raum gelenkt und führt dazu, dass die Kultur auf dem Lande und in den Klein- und Mittelstädten dagegen eher im Abseits steht. Das betrifft sowohl kulturelle Infrastruktur, Veranstaltungsangebote, aber auch den
kulturpolitischen Diskurs. Kultur spielt eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, gleichwertige und faire Lebensverhältnisse für alle und überall zu schaffen. Doch leider hängt Kultur und kulturelle Bildung immer noch vom Einkommen und Herkunft und vom Wohnort im urbanen und ländlichen Gebiet ab. Echte Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben wird damit beispielsweise für Kinder und Jugendliche im ländlichen Raum erschwert.

Viele Menschen in unserer Gesellschaft engagieren sich in Musikvereinen, Amateurtheatern, Fastnachts- und Brauchtumsvereinen, in der Heimatpflege und in Kulturzentren. Hierbei ist die Art der Kultur im ländlichen Raum eine grundlegend andere als in urbanen Gebieten. Zum Teil unterscheiden sie sich von Dorf zu Dorf fundamental. Hierauf muss auch die Kulturförderung ausgerichtet sein und regionale Besonderheiten dürfen nicht zu Förderungsausschlüssen führen. Zahlreiche Festivals machen im Sommer die ländlichen Räume auch zu touristischen
Zielen. Dabei ist aber gerade im ländlichen Raum, die kulturelle Arbeit auf Ehrenamt gestützt. Durch den Mangel an kultureller Infrastruktur im ländlichen Raum, kann gerade bei Kulturschaffenden eine Urbanisierung beobachtet werden, die ehrenamtlichen Strukturen an ihre Grenzen bringen lässt. Deswegen darf eine ausschließliche Stütze auf Ehrenamt keine Lösung sein. Ehrenamt braucht Anerkennung, vor allem aber professionelle Hilfestellungen in der Arbeit, attraktive Förderprojekte und langfristig angelegte Investitionen in kulturelle Infrastruktur, wie Kinos, Theater-, Sport-, und Freizeiträume, die nicht an eine Konsumpflicht gebunden sind.

Kultur Krisenfest machen!

In der Corona-Krise waren Theaterbühnen leer, Kinovorhänge blieben zu, Ausstellungen, Konzerte, Museen zu.. alles war dicht. Die Corona-Krise hat gnadenlos offengelegt, unter welchen prekären Bedingungen viele Soloselbstständige und Kultur- und Medienschaffende leben und arbeiten.

Eine Lehre aus der Pandemie muss deshalb sein, dass die Kultur- und Medienbranche auf eine krisenfestere Grundlage gestellt wird. Es ist unbestritten, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie notwendig sind. Das Kontaktverbot trifft Kultureinrichtungen wie freie Kulturschaffende aber existenziell. Zudem wird die Kulturbranche auch bis zum Ende der Pandemie von
teils erheblichen Einschränkungen und damit massiven wirtschaftlichen Einbußen betroffen sein. Gerade die Soloselbstständigen Kultur- und Medienproduzent*innen bilden die Basis unserer kulturellen und medialen Vielfalt. Jede Museumsschau, jedes Theaterstück, jedes Konzert lebt von vielen einzelnen Künstler*innen. Nicht zu vergessen diejenigen, die im Hintergrund die Logistik am Laufen halten. Dafür müssen wir Soloselbstständige in der Kultur- und Medienbranche besser sozial absichern und vergüten. Wir fordern einen eigenen Kulturrettungsfonds, der passgenau auf die Probleme der Kulturschaffenden eingeht und schließen uns der Forderung der GRÜNEN im Bundestag nach einem „Existenzgeld“ für die Zeit der Pandemie oder zukünftige vergleichbare Krisen, nach Mindesthonoraren für Selbstständige und einen leichteren Zugang zu den Versicherungssystemen an. Außerdem wollen wir verhindern, dass jemand wegen der Folgen der Pandemie aus der Künstlersozialkasse fällt. Deswegen braucht es eine Not-Anlaufstelle, die den Kulturschaffenden die notwendigen Informationen, Beratungen und Hilfen anbietet. Der Wert von Kunst und Kultur ist kein Sahneschnittchen und muss „Grundnahrungsmittel“ in unserer Demokratie werden, denn Kunst und Kultur ist systemrelevant, weil es demokratierelevant ist!

Mit unserem Beschluss schauen wir aber auch über die Dauer der Pandemie hinaus und bringen nochmals unsere schon länger formulierten Ideen ein, wie Soloselbstständige in der Kultur- und Medienbranche in Zukunft besser sozial abgesichert und vergütet werden können.

Kulturförderung: Vielfalt und Gerechtigkeit

Die Förderung von Kunst und Kultur ist eine öffentliche Aufgabe. HipHop und Ballett, Spoken Word und Lyrik, Zwölftonmusik und Folklore sind für uns gleichberechtigte Formen des kulturellen Ausdrucks. Sie brauchen angemessene Rahmenbedingungen, um sich entfalten zu können. Wir setzen uns dafür ein, dass neben den Leuchttürmen der klassischen Hochkultur kleine lokale Projekte wie freie Theatergruppen, Independent-Bands oder Jugendorchester ausreichend Förderung erhalten.

Wir fordern daher in allen Kulturförderungsmaßnahmen, ein transparentes und gerechtes Verfahren und die Sicherung der kulturellen Infrastruktur in den Städten und auf dem Land. Außerdem eine ausreichende Unterstützung soziokultureller Zentren, da sie wichtige Orte der Begegnung und des Austauschs für Menschen aus unterschiedlichen Milieus sind.

Eine lebendige Kulturlandschaft wird mehr denn je gebraucht, denn sie mobilisiert, motiviert, verbindet, kritisiert und öffnet. Wir brauchen eine Kunst und Kultur die „laut, unbequem und politisch” ist, denn sie ist ein Pfeiler für die Demokratie und muss endlich für alle Menschen erreichbar werden.

 

Beschlossen am 06.11.2021 auf der Landesmitgliederversammlung in Frankfurt.



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